Also wenn ich mir die letzten Seiten so durchlese, hat das schon viel von Comedy.
- Der ADAC stellt Daten zu Ladegeschwindigkeiten und rechnerischen Reichweiten zur Verfügung.
- Wenn man sich die Ladekurven und Reichweiten so ansieht wird klar: Die Peak-Werte beim Laden sind vor allem fürs Autoquartett gut
- Diverse Artikel berichten über (zunehmende) Absatzprobleme bei BEV
- Und dann driftet die ganze Nummer hier im Forum dahin ab, wohin sie gerne rutscht, wenn es um den Alltagsnutzen geht:
- Einige stellen fest, das E doch komplett alltagstauglich ist, wenn man nur irgendwelche Durchschnitte nimmt und Abstriche positiv findet
- Manch einer berichtet von seinen Erfahrungen, die er (dankenswerterweise auch offen beschrieben!) aber vor allem dann nicht sammelt, wenn ein BEV am meisten Reichweite verliert: Im Winter
- Andere entgegnen, dass BEV eben nicht alle Bedürfnisse abdecken
Dabei haben doch beide Seiten Recht.
- Ein BEV kann alltagstauglich sein, wenn
- man zuhause laden kann und überwiegend kurze bis mittlere Strecken fährt.
- man teils deutliche Nutzwerteinbußen hinnehmen kann und will.
- So hat einfach nicht jeder Lust seine Fahrten ausgiebig vorher zu planen.
Manche können es auch nicht (sei es aus beruflichen, oder aus privaten Gründen). - Selbst bei Urlaubsfahrten, mögen sie noch so selten sein und beim Besuch der buckeligen Verwandtschaft im 400 Km entfernten Kleinkleckersdorf ist mindestens ein Zwischenhalt erforderlich. Denn darauf verlassen am Zielort zu laden, kann man sich ja eben nicht.
- Die Zuladung ist bei vielen BEV geringer als bei Verbrennern in ähnlicher Fahrzeuggröße.
- Anhänger und BEV sind, wenn man mehr als Grünabfälle oder ein Pony ziehen will halt auch so eine Sache. Spontan ist mir jedenfalls kein BEV bekannt das mal eben 3 Tonnen und mehr ziehen kann, ohne alle 150 Km nachladen zu müssen.
- Das Ladetarif-Chaos ist alles, aber sicher nicht komfortabel und ich habe auch noch niemanden getroffen, der mir von seiner Freude beim monatlichen Tarifdschungel-lesen erzählt hat.
Und dann kommt man natürlich in den Bemühungen, das Thema Reichweite wegzureden zwangsläufig nicht am Argument "Man macht doch eh alle <Kilometer> Pause. Und natürlich sollte man das machen. Vor allem, wenn man allein fährt bzw. der Einzige ist, der als Fahrer in Betracht kommt. Ich bin schon lange nicht mehr alleinig gefahren, wenn es wirklich um Langstrecke ging. Beim Urlaub, beim Familienbesuch ... war immer noch mindestens eine zweite Person dabei, die Fahren kann. Und dann geht die Rechnung schon nicht mehr auf.
So ein Boxenstopp dauert dann nicht mehr als 10 Minuten.
In 10 Minuten hat man ganz locker
- den Tank voll,
- die Blase leer und
- einen Kaffee / Snack für die Weiterfahrt gekauft
Und dann muss man den Mitreisenden, oder den nöhligen Kindern auch nicht erklären, warum die Fahrt in den Urlaub jetzt 30 oder 40 Minuten länger dauert als früher.
Ich komme mir vor wie in einer verkehrten Welt.
Wenn man ein neues Produkt hat, dann muss das besser sein als das bisherige, damit die Leute es kaufen. Es darf aber mindestens nicht schlechter sein.
Das könnte man grob in drei Kategorien teilen:
- Preis
- Anschaffung
- Unterhalt (und nein, die Dienstwagensteuer spielt für die meisten Menschen keine Rolle)
- Komfort
- Praktikabilität
Für viele Menschen scheint dieser Punkt jetzt noch nicht erreicht. Und wir als E-Fahrer würden uns und allen das Leben leichter machen, wenn wir den Leuten, die noch zögern erklären, was sie ganz konkret davon haben, wenn sie umsteigen. Der geringere CO2-Fußabdruck ist für viele Menschen kein schlagendes Argument. Auch wenn natürlich niemand anders den von mir nicht verfahrenen Diesel / das von mir nicht verfahrene Benzin / das von mir nicht verfahrene oder verheizte Gas verbrennt, so fehlt vielen der Glaube daran das wir die Welt aus Deutschland heraus retten werden.
Mit der bisweilen sehr überheblich und arrogant wirkenden Art, in der manche hier versuchen zögernden zu erklären, dass ein BEV für sie ja nur deshalb nicht funktioniert, weil sie falsch leben wird vermutlich niemanden überzeugen. Und da helfen uns "Wer mehr E will muss Geschwindigkeitslimits auf Autobahnen wollen" und auch Menschen wie Christopher K. aus M. nicht, die ihren von Fahrzeugberichten unterbrochenen Werbesendungen auf YouTube vom Diesel-Dieter sprechen. Denn der ist gar nicht die Masse. Die Zulassungszahlen für Diesel sind seit Jahren Rückläufig und viele Modelle werden inzwischen schon gar nicht mehr als Diesel angeboten.
Teile E-Gemeinde sollte mal von ihrem hohen Roß kommen und anerkennen, dass
- PV-Laden
- überhaupt zuhause laden
- statt AC halt DC nutzen (dank der deutlichen Preisaufschläge)
eben nicht die Regel für Millionen Bürger in Deutschland sind. Stattdessen sollten wir uns dafür einsetzen, all das, was uns von den Verbrennerfahrern entgegengebracht wird abzubauen. Die Antwort auf "Zu wenig Lademöglichkeiten in Wohnortnähe" darf dann nicht sein "Dann nimmst du halt DC für 6€ mehr pro 100 Kilometer", sondern die gemeinsame Forderung nach mehr Ladesäulen und danach auch die An- oder Aufhebung der Dauer und Blockiergebühr. Wir sollten uns über das Parkhaus in Wiesbaden freuen, gleichzeitig aber auch anregen gerade in den Parkhäusern auszubauen. In meiner Stadt habe ich vor der sehr kostspieligen Errichtung einer eigenen Ladesäule auf einem gemieteten Stellplatz bei einem Parkhausbetreiber in der Nähe angefragt. Dort kann man auch Dauerplätze mieten. Strom gibts nicht. Er will seit Jahren, aber die Versorgung dort lässt es nicht zu und der Netzbetreiber sieht sich nicht in der Lage das zu ändern. Ein von der Stadt betriebener Parkplatz, auf dem man ebenfalls Stellplätze mieten kann (die Warteliste ist sehr lang und es dauert Jahre überhaupt einen Platz dort zu bekommen) hat ebenfalls keine Lademöglichkeiten. Eine Anfrage bei der Stadt ergab, dass es nicht geplant sei dies zu ändern.
Die Sorge um die Reichweite sollten wir nicht mit "Das kommt 4 Mal im Jahr vor" beantworten, sondern mit dem Aufzeigen von Lademöglichkeiten, dem Aufzeigen von Effizienzgewinnen der letzten Jahr - Schau mal, wie weit man heute schon kommt im Vergleich zu 2019. Und wir sollten manche Dinge auch einfach anerkennen, weil sie nicht weggeredet werden können, ohne sich der Schönfärberei schuldig zu machen. Das die Reichweiten bei Verbrennern vorne und hinten nicht passen ist bekannt. Das rechtfertigt aber nicht warum sie heute oft auch nicht passen und noch dazu die Ladevorgänge - speziell beim DC und im Winter - auch noch viel länger ausfallen. Technisch ist das erklärbar. Viele Menschen interessieren sich aber nicht für die Technik. Die wollen etwas benutzen. Und das so einfach wie möglich.
Und wenn uns jemand mit den Preisen fürs öffentliche Laden konfrontiert und seinen Verbrenner gegenrechnet, dann sollten wir zur Kenntnis nehmen das er sich mit dem Thema grundlegend befasst hat. Und da kommt es auch nicht auf die zweite Kommastelle an. Und wenn Mehrkosten von z. B. derzeit 600 € pro Jahr ihn im Moment abhalten, dann müssen wir akzeptieren das er sich das momentan vielleicht einfach nicht leisten kann oder will.
Ich freue mich auf meinen ID3. Er ist nicht mein erstes BEV. Aber nur, weil BEV für mich passt, sollte ich mir nicht anmaßen anderen vorzuschreiben was sie zu tun und zu unterlassen haben. Ich glaube der ganzen E-Gemeinde würde es, gerade um nicht wie Birkenstock-Ökos zu wirken, gut stehen offener zu sein. Die Lösung ist nicht mehr Einschränkungen für Verbrenner zu fordern, sondern mehr Nutzwert in die BEVs zu bekommen. Und dann werden die Leute auch ganz von allein wieder Neugieriger.